Eröffnung der Ausstellung 'Was wird sein? des Malers und Grafikers Wilfried Gründler in der Volksbank Gelsenkirchen an 11. November 1985, Auszüge

So werden zwei Bereiche von Bildinhalten und Bildaussagen unterschieden: Der noch heile Lebensbereich und die vom Maler als Objektlandschaften vorgestellten Visionen, die einen Zustand 'ante' vorstellen könnten, als einen Zustand vor jeder Bevölkerung oder aber einen Zustand post festum, wobei wir an die Wortbedeutung 'zu spät' denken. Wir hören von 'Stahl- und Betonwüsten, von metallenen Kugeln und seltsamen Konstruktionen, von apokalyptischen Gewitterhimmeln und riesenhaften Kanalisationen'. Und die Veranlassung für das Entstehen einer solch menschenleeren Welt sehen Wilfried Gründler und seine Interpreten in einem aus der Kontrolle geratenen Fortschrittsdenken des modernen Menschen. In der Sprache der Antike würden wir von einer Hybris, einem frevelhaften Übermut sprechen, dem aber stets die Nemesis, die strafende Gerechtigkeit folgt.

Ich denke, meine verehrten Damen und Herren, daß sie nun von mir keine detaillierten Bildbeschreibungen oder gar -erklärungen erwarten. Der gerade gewählte Nobelpreisträger für Literatur - Paul Simon - meinte vor einigen Tagen in einem Interview: 'Man kann kein Bild erzählen. Das Bild muß sich schon selbst erzählen!'. Und ich denke Gründlers Bilder offenbaren sich wahrlich auch ohne Kommentar.

Spiegelt sich in den Bildern dieser Ausstellung, den Bildern Wilfried Gründlers auch die Vision der 'Enthüllung', der Apokalypse des Johannes? Findet sich in des Malers Wunsch, 'daß er sich in der visionären Vorstellung seiner Objektlandschaften irren möge' das 'Prinzip Hoffnung' wieder, nach dem die Ludwigshafener Ausstellung in Anlehnung an Ernst Bloch fragt? 

Sie selbst, meine Damen und Herren, werden das für sich selbst herausfinden müssen. Und gleich, ob sie sich für die Resignation oder die Hoffnung entscheiden, immer werden sie sich für die Kunst entscheiden, die die Aufgabe der durchdringenden Verdeutlichung der Zeitprobleme stets wieder übernimmt und darin auch von keiner anderen Disziplin übertroffen wird.

Wenn ich darauf verzichtete, den Versuch einer Erklärung der Bilder dieser Ausstellung zu machen, so will ich mich auch jener üblichen Einordnung in kunsthistorische Kategorien mit ihren vielen 'ismen' enthalten. Was nützt es ihnen, wenn wir diesen Bildern Etiketten aufkleben, auf denen man Familiennamen wie 'Futurismus' oder 'Surrealismus' lesen kann? Eigentlich nicht viel.

Doch möchte ich Sie zu einem Gedanken führen, der einen noch nicht besprochenen Aspekt eröffnet. Gründler sieht die möglichen Schrecknisse, er spürt die lastende Lebensangst unserer Zeit. Aber dennoch sind es keine Schreckensbilder, wie wir Sie bei Hyronimus Bosch, bei einigen unserer Expressionisten oder in Picassos 'Guernica' finden. Gründler schildert nicht die Katastrophe, sondern den Tag danach.

Lassen wir nun Wilfried Gründlers Visionen auf uns wirken, lassen wir uns mitbeteiligen, die bildgewordenen Visionen Erlebnis werden, vielleicht ein erregendes und ein anhaltendes Erlebnis.

Franz-Josef Dohr


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